Skip to main content

Zeugnissprache verstehen – Beurteilungen prüfen

Dieser Artikel beschäftigt sich damit, wieso es wichtig ist, die Zeugnissprache zu verstehen und beurteilen zu können. Das Praktikum im großen Unternehmen ist beendet. Man hat viel gelernt, die Kollegen waren großartig und vor allem hat man sich Mühe gegeben, alles richtig zu machen. So hat es schließlich auch der Chef im Praktikumszeugnis geschrieben:

„Herr Müller hat sich bemüht, die ihm übertragenen Arbeiten zu unserer Zufriedenheit zu erledigen.“

Leider ist dies nur die halbe Wahrheit, denn was der Chef eigentlich sagen wollte, fügt er lediglich gedanklich hinzu:

„was ihm allerdings nicht gelungen ist.“

Das Problem ist, dass zwar Herr Müller die Gedanken seines Vorgesetzten nicht lesen kann, ein potentieller zukünftiger Arbeitgeber aber hierzu spätestens nach Durchsicht des vorgelegten Praktikumszeugnisses in der Lage ist – und mit ziemlicher Sicherheit wird Herr Müller sich auf diese Stelle erfolglos beworben haben.

Viele Zeugnisse erweisen sich bei genauem Hinsehen als nicht einmal ansatzweise so gut, wie es zunächst den Anschein hat. Da ein Arbeitgeber ein „wohlwollendes“ Zeugnis ausstellen muss, ist es ihm verwehrt, negative Aspekte in aller Klarheit auszusprechen. Um dennoch zumindest zwischen den Zeilen einem anderen möglichen Arbeitgeber die wahre Einschätzung der Arbeitsleistung des Praktikanten zu vermitteln, hat sich im Laufe der Zeit eine besondere Zeugnissprache entwickelt, die es zu verstehen gilt. Geheim ist diese aber nicht, sie hat lediglich ihr ganz eigenes Vokabular. Daher ist es möglich, aber auch unbedingt nötig, sich sorgsam mit dem Inhalt des Praktikumszeugnisses auseinanderzusetzen, um beurteilen zu können, ob der Vorgesetzte ebenso zufrieden mit der Arbeitsleistung war, wie man selbst.

Zeugnis

Zeugnis ©iStockphoto/Magobert

Formalitäten sprechen Bände

Ein Praktikumszeugnis ist nicht nur als ein einfacher Fließtext zu gestalten, in dem der Vorgesetzte seine Meinung zu der Arbeitsleistung schildert. Bereits der formale Aufbau des Zeugnisses folgt einem klaren Schema:

1. Überschrift mit Einleitung
2. Beschreibung der Tätigkeit
3. Leistungsbeurteilung
4. Verhaltensbeurteilung
5. Beendigungs- und Dankesformel

Wird hiervon deutlich abgewichen oder etwas ausgelassen, kann auch dies unter Umständen bereits darauf hindeuten, dass hinsichtlich bestimmter Punkte Unzufriedenheit oder zumindest unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Leistung bestanden.

Selbstverständlich ist auch darauf zu achten, dass das Zeugnis Ausstellungsort und -datum aufweist, mit der Unterschrift des Ausstellers nebst Hinweis auf seine Position im Betrieb versehen und im Übrigen frei von stilistischen Mängeln und Rechtschreibfehlern ist.

Zeugnissprache: Der Teufel steckt im Detail

Während die Überschrift und die Tätigkeitsbeschreibung eher selten Anlass zur Kritik geben, da es sich hierbei um wertfreie Aussagen über die Art und Dauer der Beschäftigung handeln sollte, ist im Leistungs- und Verhaltensteil besondere Obacht geboten.
Es haben sich mittlerweile relativ gleichlautende und immer wiederkehrende Formulierungen gefestigt, die sich oftmals nur durch das Weglassen oder Hinzufügen einiger Wörter unterscheiden. Aber gerade diese kleinen Details sind entscheidend für die Beurteilung, ob ein Zeugnis mit der Schulnote sehr gut oder doch eher mangelhaft vorliegt.

Anhand folgenden Beispiels lassen sich die unterschiedlichen Bewertungen erkennen:

„Er hat die ihm übertragenen Arbeiten…

…stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt“ = Sehr gut
… stets zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt“ = Gut
… stets zu unserer Zufriedenheit erledigt“ = Befriedigend
… zu unserer Zufriedenheit erledigt“ = Ausreichend
… im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit erledigt“ = Mangelhaft

Nach der Beurteilung der Arbeitsleistung unseres Herrn Müller hat dieser sich – leider erfolglos – bemüht, die ihm übertragenen Arbeiten zur Zufriedenheit seines Chefs zu erledigen. In Schulnoten ausgedrückt, reicht diese Formulierung nicht einmal mehr für ein Mangelhaft, sie ist geradezu katastrophal.

Die meisten Formulierungen können in der Regel durch die Überprüfung, ob hierbei positive Begriffe wie „stets“, „einwandfrei“, „immer“, „in jeder Hinsicht“, zum Einsatz kommen, in den richtigen Kontext eingeordnet werden.

Die Verwendung von Begriffen wie beispielsweise „im Wesentlichen“, „weitgehend“, „ohne Beanstandungen“, „überwiegend“ und insbesondere „bemüht“ deutet jedoch nur auf den ersten Blick auf eine positive Bewertung hin, denn vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Wenn im Praktikumszeugnis derartige Formulierungen erscheinen, ist dies ein Fall zur Nachbesserung!

Die Formulierung hat es in sich

Neben der Benutzung bzw. dem Weglassen bestimmter Füllwörter kommen darüber hinaus ganze Sätze zum Einsatz, deren „wahre“ Bedeutung man unbedingt kennen sollte, bevor man sich mit dem Zeugnis zufrieden gibt.

„Wir lernten ihn als umgänglichen Kollegen kennen.“
Was der Vorgesetzte eigentlich sagen will ist schlichtweg, dass der Praktikant unbeliebt war.

„Er zeigte reges Interesse an den ihm aufgetragenen Arbeiten.“
Diese Aussage bedeutet nichts anderes, als dass er bei der Erledigung dieser Arbeiten ziemlich erfolglos war und im Zweifel die Arbeit an den Kollegen hängen blieb.

„Er verstand sich sehr gut mit seinen Kollegen, seine offene Art machte ihn stets zu einem gefragten Gesprächspartner.“
Mit dieser Formulierung gibt der Zeugnisverfasser dem wissenden Leser durch die Blume zu verstehen, dass der Praktikant mehr durch angeregtes Plaudern aufgefallen ist, als dass er sich durch Arbeitseifer ausgezeichnet hat.

Grundsätzlich ist es begrüßenswert, wenn auch ein Praktikant bereits über Fachwissen verfügt. Wird dies jedoch im Zeugnis mit dem Hinweis

„Er verfügt über Fachwissen und hat ein gesundes Selbstvertrauen.“

kommentiert, weist dies schlichtweg auf eine gesunde Selbstüberschätzung hin.

Im Übrigen fallen auch Formulierungen, die sich durch eine gewisse Distanzierung auszeichnen, negativ auf:

„Wir lernten ihn als einen freundlichen Mitarbeiter kennen“ klingt weitaus weniger ansprechend, wie etwa

„Er war wegen seines freundlichen Wesens und seiner Aufgeschlossenheit bei seinen Vorgesetzten, unseren Mitarbeitern und den anderen Praktikanten stets sehr anerkannt und beliebt.“

Immer der Reihe nach

Ebenfalls höchst beachtenswert ist, ob bestimmte Reihenfolgen eingehalten werden. Geht es um die Frage bezüglich des sozialen Verhaltens während des Praktikums, sind sämtliche Personengruppen, mit denen der Praktikant in Berührung gekommen ist, zu benennen.

Eine ideale Beschreibung wäre:

„Sein persönliches Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Geschäftspartnern und Kollegen war stets einwandfrei.“

Findet hier der Vorgesetzte keinerlei Erwähnung, bedeutet dies nicht etwa, dass der Praktikant mit dem Chef keinen Kontakt hatte, sondern vielmehr, dass das Verhältnis zum Vorgesetzten nicht gerade herzlich war. Steht hingegen nicht der Vorgesetzte, sondern die Kollegen an erster Stelle, deutet auch dies eindeutig darauf hin, dass dem Praktikanten ein Fehlverhalten angelastet wird. Auch hier wird der Eindruck erweckt, man habe seine Zeit lieber im gemütlichem Plausch mit den Arbeitskollegen verbracht, als sich seiner Arbeitstätigkeit zu widmen.

Sowohl das Abweichen von der Reihenfolge als auch das Weglassen bestimmter Personengruppen sind für einen möglichen späteren Arbeitgeber klare Hinweise auf ein Verhalten des Praktikanten, das aus Arbeitgebersicht nicht erwünscht ist.

Keine Selbstverständlichkeiten

Wenn dem Praktikanten im seinen Zeugnis Pünktlichkeit bescheinigt wird, besteht kein übermäßiger Grund zur Freude. Das pünktliche Erscheinen am Arbeitsplatz ist eine Selbstverständlichkeit, die im Zeugnis keine Erwähnung finden sollte, ebenso wie etwa das Hervorheben der Ehrlichkeit des Praktikanten. Wird im Zeugnis ausdrücklich darauf hingewiesen, ist dies schlichtweg ein Zeichen dafür, dass offensichtlich außer diesen keine weiteren Eigenschaften vorhanden waren, die positiv hervorzuheben sind.

Das dicke Ende

Nicht minder aussagekräftig ist die Schlussformulierung des Zeugnisses. Wesentlicher Bestandteil, der auf keinen Fall fehlen darf, ist die Dankesformel. Klassisches Beispiel hierfür ist

„Wir bedanken uns für seine hervorragende Arbeit in unserem Unternehmen und wünschen ihm das Beste für seine berufliche und private Zukunft.“

Während üblicherweise davon ausgegangen wird, dass die Gesundheit allem voranstehen sollte, gilt dies nicht für das Praktikumszeugnis. Wird dem Praktikanten auf seinem weiteren Lebensweg „vor allem Gesundheit“ gewünscht, bedeutet dies, dass im Zweifel das Verhältnis zwischen Anzahl der Krankheitstage und der Zeit, die im Unternehmen gearbeitet wurde, nicht zugunsten der Arbeitszeit ausfällt.

Das endgültige Aus für eine erfolgreiche Bewerbung bedeutet die Schlussformulierung

„Unsere besten Wünsche begleiten ihn.“

Ein Arbeitgeber, der diese Bemerkung in einem Praktikumszeugnis liest, sieht gedanklich das erleichterte Gesicht des Zeugnisverfassers vor sich, nachdem der Praktikant die Tür hinter sich geschlossen und das Unternehmensgelände verlassen hat.

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser

Aufgrund der zahlreichen möglichen Stolperfallen im Praktikumszeugnis sollte stets sorgfältig überprüft werden, ob der Inhalt den eigenen Vorstellungen entspricht und auch wirklich förderlich für den beruflichen Fortgang ist. Wenn man sich dazu entschließt, ein Praktikum zu absolvieren, tut man dies nicht nur in der Absicht, Erfahrungen in einem bestimmten Beruf zu sammeln. Vielmehr soll auch bei einer späteren Bewerbung der Arbeitgeber erkennen können, dass man sich bereits im Vorfeld informiert und einen Blick in das auserwählte Arbeitsfeld geworfen, also Eigeninitiative ergriffen hat. Selbstverständlich möchte man auch für seine guten Leistungen eine entsprechende Beurteilung erhalten – nur dadurch kann die Ableistung eines Praktikums überhaupt den erwünschten Erfolg haben.

Auch, wenn der Vorgesetzte noch so freundlich war, sollte man sich nie darauf verlassen, dass die Beurteilung der eigenen Arbeitsleistung so ausfällt, wie man es sich wünscht. Ein Praktikumszeugnis, das in der Bewertung nicht mindestens ein Sehr gut oder Gut enthält, ist nahezu wertlos – und das Praktikum war möglicherweise kurzweilig, aber für die Steigerung der Berufschancen leider wenig bis gar nicht hilfreich.

Top Artikel in Praktikumszeugnis